Handarbeit ist gefragt: Der Küfer aus dem Rheintal, Martin Thurnheer, am Bearbeiten der Stahlringe.

ZeitschriftenLesezeit 4 min.

Sehr schöne Unikate dank Muskelkraft und Präzision

Mit Holz kann man heizen, Häuser konstruieren, Möbel herstellen – und Fässer bauen. Martin Thurnheer aus Berneck (SG) ist einer der letzten Küfer in der Schweiz. Er stellt in reiner Handarbeit im wahrsten Sinne des Wortes un-fass-bar schöne Unikate her.

Susanne Stettler* | Wer Martin Thurnheers Werkstatt betritt, kann die Geschichte förmlich riechen. Nicht nur jene seiner Fässer, sondern auch die der Firma. Neben dem Holzgeruch weht ein Hauch von Vergangenheit durch den Raum. Allerdings im guten Sinn. So hat die Hobel-Maschine gut 100 Jahre dem Buckel, tut aber ihren Dienst nach wie vor bestens. Qualität kommt eben nie aus der Mode. Genau wie Thurnheers Fässer. Der 39-Jährige führt eine der beiden letzten Küfereien in der Schweiz, welche noch selbst Holzfässer herstellen.

100 bis 150 Barrique-Fässer mit 225 Litern Fassungsvermögen sind es pro Jahr. Weil es effizienter ist, baut Martin Thurnheer jeweils 40 solcher Behälter gleichzeitig, die er später für 930 Franken pro Stück verkauft. Doch bis es ist, braucht es viel Muskelkraft, Geschick und Schweiss. Einen ganzen Tag lang arbeitet er insgesamt an einem einzigen Fass, also 40 Tage für 40 Fässer. Weil diese in 100 Prozent Handarbeit entstehen, kann Martin Thurnheer jede Grösse liefern und damit jeden Kundenwunsch erfüllen. 

Die Mini-Version ist das Zwei-Liter-Fass, dessen Bau jedoch nicht weniger Zeit erfordert als die Herstellung eines grösseren Modells: «Eine knifflige Sache, weil alles so klein ist.» Drei Wochen nimmt der Entstehungsprozess von Fässern in Anspruch, die Platz für 2000, 3000 oder 4000 Liter Wein, Schnaps, Bier oder Most bieten und 10 000 Franken kosten. Vor einigen Jahren baute der Küfer für eine Mosterei sogar fünf 18 000-Liter-
Lagerfässer. Einen vollen Monat dauerte die Herstellung eines einzigen solchen 
50 000-Franken-Giganten. Der Rohstoff für seine Kunstwerke ist meist Eichenholz. Doch auch Kirsche, Lärche, Kastanie und Akazie eignen sich für den Fassbau. Die verwendete Holzart beeinflusst das Aroma des darin gelagerten Weins, Schnapses, Biers oder Mosts. «Der überwiegende Teil des Holzes, das ich verwende, stammt aus Schweizer Wäldern», erklärt Martin Thurnheer. «Die Unterstützung unserer Waldwirtschaft ist mir wichtig, und ich schätze den persönlichen Kontakt mit Förstern und Waldbesitzern.» Und noch ein Grund spricht für Schweizer Holz: «Der Weinausbau wird geschmacklich besser, wenn einheimischer Wein in einheimischem Holz ausgebaut wird. Das habe ich beim Degustieren gelernt.» Ungefähr 40 Kubikmeter Rundholz benötigt Martin Thurnheer jedes Jahr für den Barrique-Bau. Dazu kommen 20 Kubikmeter geschnittenes Eichenholz für den Fassbau, jeweils drei Kubikmeter Lärche und Douglasie für Badewannen, zwei Kubikmeter Lärche für den Fassbau sowie je einen Kubikmeter Kastanie und Akazie. 

Hiesige Holzwirtschaft fördern

Das Rundholz stammt hauptsächlich aus der Region Zürich, geschnittenes Holz bezieht der Küfer beim Lieferanten, welcher das Material in der EU und der Schweiz beschafft. «Ich weiss haargenau, woher mein Holz kommt», sagt Thurnheer. «Es ist mir ein echtes Anliegen, unsere Holzwirtschaft zu fördern. Wenn wir Schweizer das einheimische Holz nicht kaufen, geht es ins Ausland, wo daraus ebenfalls Fässer gebaut werden. Frankreich zum Beispiel ist ein Grossabnehmer von Eichenholz.» 

Gibt es einen Vorteil von Schweizer Holz gegenüber solchem aus anderen Ländern? «Für mich schon. Denn ausländisches Holz kommt von überall her. Es gibt lange Transportwege und falls mit der Ware irgendetwas nicht in Ordnung ist, hat niemand eine Ahnung, woher genau es stammt.» Tatsächlich kann der Unternehmer nicht jedes x-beliebige Holz brauchen. Er stellt ganz klare Ansprüche. «Ich benötige schön gewachsenes Eichen-Rundholz. Es muss gerade sein, darf keinen Drehwuchs aufweisen und sollte ausserdem astfrei sein», sagt der Küfer.

Viele Schritte für ein gutes Ergebnis

Der Produktionsablauf ist immer derselbe – unabhängig von der Grösse des Fasses und dessen Verwendungszweck. Martin Thurnheer schneidet das Rundholz in einen Meter lange Stücke und spaltet diese anschliessend. Danach setzt er sie während zweier Jahre absichtlich der Witterung aus. «So werden die Bitterstoffe aus dem Holz geschwemmt, welche sonst später in den Wein übergehen würden», erklärt der Fass-Experte. «Ich bin also schon früh für die Qualität des Weines verantwortlich.» Anschliessend liegt das Rohmaterial ein Jahr lang in einem vor Wind und Wetter geschützten Lager. Erst dann ist es «reif» für die Produktion. «Bis zu diesem Zeitpunkt habe ich jedes Brett ungefähr neunmal in die Hand genommen», erläutert Martin Thurnheer. Produktionsbereite Fassdauben bekommen als erstes schräge Kanten und auf der Innenseite eine bauchige Aushöhlung. Für ein Barrique-Fass – seinen Verkaufsschlager –
nimmt Martin Thurnheer einen Stahlring und etwa 34 Dauben, stellt ein Brett neben das andere und fasst sie oben mit dem Stahlring zusammen, dem sogenannten Kopfring. Steht dieses Skelett, verpasst der Küfer dem in der Entstehung begriffenen Fass mithilfe von Hammer und Setze ein wenig weiter unten den Halsring. Noch ein wenig tiefer findet der Bauchring seinen Platz.

In seiner jetzigen Form erinnert das Gebilde an eine Blumenblüte oder eine umgedrehte Krone. Damit ein Fass daraus wird, müssen die Dauben noch gebogen werden. Zu diesem Zweck transportiert Thurnheer den Behälter auf den Vorplatz seiner Werkstatt und stellt einen Feuerkorb in dessen Mitte. Das röstet – in der Fachsprache spricht man von toasten – das Holz. Abhängig von der Länge des Vorgangs ändert sich der Geschmack des Holzes, was später das Aroma des Fassinhalts beeinflusst. Solange das Feuer brennt, wird die Aussenseite des Fasses mit Wasser bespritzt, damit sich das Holz biegen lässt. Ist es so weit, legt Martin Thurnheer Stahlseile um die untere Hälfte und zieht diese mit einer Elektroseilwinde zusammen. Je nach gewünschtem Geschmack dauert die Toastung des Holzes zwischen 40 Minuten und zwei Stunden. Ist sie abgeschlossen, werden die russgeschwärzten Fassringe auf der Oberseite und blitzblanke ersetzt. Zudem erhält die Unterseite ebenfalls einen Kopf-, einen Hals- sowie einen Bauchring. Nun fehlen nur noch Boden, Deckel und Zapfen, dann ist das Fass fertig. 

Die Toastung geschieht übrigens auf überaus nachhaltige Weise, denn verbrennt werden Produktionsabfälle, welche zudem in der Werkstatt und im Wohnhaus der Familie Thurnheer für wohlige Wärme sorgen.

Der Laden brummt

Das Geschäft läuft bestens. Zu verdanken ist dies dem hervorragenden Traubenjahr 2022. Ein anderer Umstand sorgt ebenfalls für volle Auftragsbücher: «Die Weinproduzenten setzen wieder vermehrt auf Holzfässer, Stahltanks sind weniger beliebt als auch schon», erzählt Martin Thurnheer.

Den jungen Familienvater und seine Frau Monika, die tatkräftig mitarbeitet, freuts natürlich, denn die Fässer gehen weg wie warme Weggli. Ihre neue Heimat finden diese in Winzereien, Schnapsbrennereien und Mostereien in der Schweiz, ebenso im grenznahen Ausland. Martin Thurnheer besucht die von ihm erschaffenen Werke regelmässig: «Ich habe eine sehr gute Beziehung zu meinen Kundinnen und Kunden und freue mich immer darauf, in ihren Betrieben die Produkte zu degustieren, die in meinen Fässern gereift sind.» Das Blitzen in seinen Augen, als der dies sagt, verrät, dass er auch privat einen guten Tropfen nicht verachtet.

Keines ist wie das andere

Zu schätzen gilt es überdies die Handarbeit und das Handwerk des Küfers. Einerseits ist jedes Fass ein Unikat, denn keines sieht exakt gleich aus wie ein anderes. Andererseits sind Fassdauben und Stahlringe die einzigen «Zutaten». «Im ganzen Fass gibt es weder Schrauben noch Nägel, auch keinen Leim oder Silikon», sagt der Küfer stolz. Ohne absolute Präzisionsarbeit läuft der wertvolle Inhalt des Fasses aus.

Wer schludert oder sein Handwerk nicht tipptopp beherrscht, steht also auf verlorenem Posten. Dies lernte Martin Thurnheer im Rahmen der dreijährigen Küferlehre bei seinem inzwischen verstorbenen Vater Walter sowie in der Berufsschule in Wädenswil (ZH). Heute befindet sich diese in Brienz (BE). Dort werden auch Korbflechter, Schnitzer und Weissküfer – sie fertigen Sennereigeschirr an – in die Geheimnisse ihrer aussterbenden Zünfte eingeweiht. Die Küfer haben ebenfalls Seltenheitswert, denn es gibt in der Schweiz nur gerade noch zwei Betriebe, die Holzfässer herstellen, sowie einen einzigen Lehrling pro Jahr. 

Hat die Küferei Zukunft?

Auch nach über 20 Jahren brennt Martin Thurnheer für seine Arbeit. Langeweile kommt dabei ganz bestimmt nicht auf: «Meine Tätigkeit ist unglaublich abwechslungsreich. Ich kaufe die Baumstämme im Wald, säge sie bei mir im Betrieb auf die benötigte Grösse zu und verarbeite sie danach. Die Fassringe fertige ich aus Bandstahl ebenfalls selbst. Zudem besuche ich ab und zu meine Kundinnen und Kunden.» Einen anderen Beruf hat sich Thurnheer nie vorstellen können. Auf den Geschmack gekommen ist er als bereits kleiner Bub, denn die Vorgänge in der Werkstatt seines Vaters zogen ihn schon früh in ihren Bann.

Bleibt die Küferei in Familienhand?

Seit damals, vor gut 30 Jahren, hat sich in der altehrwürdigen Werkstatt nicht allzu viel verändert. Nach wie vor fasziniert Martin Thurnheer das Herstellen von Holzfässern. Da geht es ihm gleich wie den vier Generationen vor ihm seit der Gründung der Küferei im Jahr 1854.

Das wirft natürlich die Frage auf, ob die sechste Generation die Tradition eines Tages weiterführen wird. Für eine Antwort darauf ist es allerdings noch viel zu früh, denn Martin und Monika Thurnheers Kinder Tabea, Finnja und Louis sind gerade einmal vier, zwei und ein halbes Jahr alt. «Ich wäre sehr glücklich, wenn eines meiner Kinder den Betrieb übernehmen würde. Ich werde aber bestimmt keines dazu zwingen», sagt der derzeitige Herr der Holzfässer. 

Ein Fünkchen Hoffnung sieht man allerdings bereits jetzt aufflackern: Die Mädchen spielen gerne in der Werkstatt. Selbstverständlich unter Aufsicht – und nur, wenn die Säge ausgeschaltet ist. Baby Louis ist noch zu klein dafür, wird es seinen grossen Schwestern jedoch wohl bald gleichtun. Beste Voraussetzungen also, um sich mit dem Küfer-Virus anzustecken.

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